Magische Stufen herab: Ausflug zu Lagunen von Ruidera (2024)

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Von: Stefan Wieczorek

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Magische Stufen herab: Ausflug zu Lagunen von Ruidera (1)

Naturpark aus 16 Seen zwischen Albacete und Ciudad Real, die ganz andere und doch urspanische Seite der Region Kastilien-La Mancha.

Ruidera - Ein Ort, wo der Puls Spaniens am wahrhaftesten zu erspüren ist? Viele würden einen Fleck am Meer nennen. Oder eine Plaza Mayor mit urspanischen Cafés. Im Sinne von Cervantes könnte es der rätselhafte „Ort in La Mancha“ sein, der die Sage des „Don Quijote“ eröffnet. Eine Gegend kahler, heller Windmühlenhügel also? Oder eher eine Landschaft mit blauen Seen, mehr als einem Dutzend davon, vor einer Waldkulisse seltsam aneinandergereiht, durch einen Faden aus sprudelnden Bächen verbunden, die sich mit Wasserfällen über magisch anmutende Felsformationen in den die Natur und den Himmel spiegelnden Becken ergießen.

Lagunen in Spaniens Hinterland: Ausflug zu magischen Seen in La Mancha

In die Lagunas de Ruidera führt unser Ausflug. Einen markanten Platz nehmen diese Seen im Quijote-Universum ein – und auch, als Naturpark, unter den überraschenden Reizen von Spaniens Autonomer Region Castilla-La Mancha. Exakt auf der Grenze der Provinzen Albacete und Ciudad Real, im historischen Kreis Campo de Montiel, führte der Prozess einer Ansammlung von Kalktuff, einem porösen Sediment, zur Bildung dieser einmaligen Lagunen-Landschaft, in der das Flusswasser über die insgesamt 16 Becken wie auf verglasten Stufen 120 Höhenmeter herabströmt. Wobei die naturwissenschaftliche Erklärung nur die halbe Wahrheit ist.

Die andere Hälfte liefert „Don Quijote“ von La Mancha. Vom famosen Zauber der Gegend angelockt, begibt sich der sinnreiche Junker im 22. Kapitel des zweiten Buches zu Ruideras Lagunen und fällt, nach Abstieg in eine Höhle, in einen Traumzustand. Darin erfährt Spaniens tragischer Held, dass Ruidera in fernen Zeiten eine Kammerdame war, die durch unglückliche Umstände eine Schuld auf sich geladen hatte. Als Strafe, vielleicht aber auch als Begnadigung, sprach der Magier Merlin einen Zauber über sie aus und verwandelte Ruidera, mit all ihren Töchtern und Nichten, in Lagunen.

Ein Fluss wie ein Fabelwesen: Cervantes’ sinnreiche Verortung

Salvadora, Redondilla, Coladilla oder Blanca: Nicht von ungefähr kommen die wohlklingenden örtlichen Gewässernamen. Und auch nicht der Name des Flusses Guadiana, der laut der „Don Quijote“-Sage einst ein Schildknappe war, den Merlins Zauber ebenfalls traf. Miguel de Cervantes nahm bei der Verfassung seines spanischen Klassikers wohl Ortslegenden auf, als er im Kapitel zu den Lagunen von Ruidera auch den Fluss thematisierte, der auf eigenartige Weise unterirdisch verlaufe, dann aber, wie ein sich schlängelndes Fabelwesen, „aus den Tiefen hervorbricht und sich der Sonne und den Menschen zeigt“.

Wissenschaftlich ist es – so erfahren wir im Besucherzentrum – zumindest umstritten, ob der Guadiana tatsächlich, wie lange angenommen, in Ruidera entspringt, um wieder unterzutauchen und 50 Kilometer weiter, an der Quelle Ojos de Guadiana, nochmals zur Welt zu kommen. Eher als durch den Fluss, nähren sich die Lagunen durch einen als Acuífero 24 definierten Grundwasserleiter. Trotz aller Fantasiespiele sind die Zauberseen – und darin Details wie die Höhle von Quijotes Trance, die Cueva de Montesinos – auffälligerweise einer der wenigen topografisch sinnvoll platzierten Orte in Cervantes’ Epos.

Sonst nur in Kroatien: Blaue Aussicht am 16. See

Auch vor 400 Jahren muss das inmitten des kargen Kastilien-La Mancha wie ein verlorenes übernatürliches Schmuckstück liegende Lagunengebiet Glücksritter verzaubert haben. Ein vergleichbares Gebilde wie die Lagunas de Ruidera gibt es in Europa übrigens sonst nur einmal: In Kroatien, wo die als Unesco-Weltkulturerbe anerkannte Seelandschaft von Plitvice eine stufenförmige Aneinanderreihung von Wasserbecken aufweist, die ebenfalls, wenn nicht durch Zauber, dann durch Karstvorgänge, also die chemische Lösung von Karbonatgestein, entstand.

Kurios: Auch bei dem kroatischen Naturwunder handelt es sich, wie im Naturpark in Kastilien-La Mancha, um 16 Seen, wobei im Falle der Lagunas de Ruidera das finale, sehr große Becken Embalse de Peñarroya ein künstlich angestautes ist. Zumindest als Ausklang des Besuchs sollte, wegen der großartigen blauen Aussicht, hier die gleichnamige Burg Peñarroya angefahren und bestiegen werden. Als Ausgangspunkt der Reise in die Welt der spanischen Hinterland-Lagunen bietet sich hingegen der Ort an, der so heißt wie die verzauberte Dame, Ruidera.

„Untergang“ oder „Zusammenfall“: Annäherung an Hintergründe

Gelegen am Nordufer der Laguna del Rey, bietet der kleine, aber wegen geradezu merlinesker Höhenunterschiede nicht ganz so leicht zu durchquerende Ort schöne Ausblickrouten und Aktivitäten um den See. Vor allem führt von Ruidera aus die einfache Wanderroute zu einer der Hauptsehenswürdigkeiten des Lagunengebiets: dem Wasserfall, dessen angsteinflößender Name Hundimiento – „Untergang“ oder „Zusammenfall“ – an einen Wasserdurchbruch anno 1545 erinnert, der ganze Mühlen mit sich riss und die bisherige Landschaft völlig umkrempelte.

Magische Stufen herab: Ausflug zu Lagunen von Ruidera (2)

Auch aus der sicheren Distanz des Aussichtspunkts am Hundimiento beeindruckt die Wucht des Wassers. Das Getöse der Fälle könnte der Gegend sogar ihren Namen gegeben haben. Forschern zufolge steckt in „Ruidera“ das Wort ruido, Lärm. Ebenfalls nicht unplausibel erscheinen die Wurzeln riada, Überschwemmung, oder auch – angesichts vieler grausamer Schlachten in der Grenzgegend – ruina. Eine Annäherung an die historischen wie naturwissenschaftlichen Hintergründe des Naturparks bietet am Begegnungspunkt der Lagunen Batanas und Colgada das sehr sehenswerte Besucherzentrum.

Rundweg und Badestellen: Blick durch Lagunenaugen

Sehr nah, neben der Ruine des alten Elektrizitätswerks, entspringt auch der Rundweg zu mehreren Aussichtspunkten. Ebenfalls lockt in der Nähe eine beliebte Badestelle in der Lagune Santo Morcillo. Erlaubt ist das Ins-Wasser-Gehen ansonsten nur in den Becken Cueva Morenilla, Rey, Colgada, Salvadora, San Pedro und Tomilla. Das vielleicht intensivste Erleben des Naturschauspiels aber ermöglichen die von mehreren Anbietern geleiteten Routen per Kanu. Vom Wasser aus ergeben sich zweifellos die besten Perspektiven auf die Uferformationen, wo die Ströme sich über wahre Stalaktiten hypnotisch und machtvoll ergießen.

Doch eröffnen sich, quasi durch die Lagunenaugen blickend, auch manche Schattenseiten, so die beachtliche Bebauung der Gipfel und Hänge. Auch weisen die Wanderführer der Wasserroute auf schädliche Eingriffe an den Seestrukturen hin – allem voran der wegen eines einstigen E-Werks in den steinernen Naturdamm gerissene, nach oben hin geöffnete Kanal zwischen den Lagunas San Pedro und Tinaja. Welch zarte Pflanze der Naturpark in der spanischen Hinterland-Region ist, zeigte sich auch Mitte Mai 2024, als an mehreren Stellen fast zeitgleich Waldfeuer ausbrachen.

Rettende Eigenschaft: Fast kitschiger Halbinselwald

Offenbar handelte es sich um Brandstiftung, vielleicht gepaart mit Fahrlässigkeit. Jedenfalls war reichlich menschliches Zutun bei dem hochgefährlichen Feuer dabei. Eine rettende Eigenschaft kam den Ruidera-Wäldern aber zu Hilfe: ihr feuchter Boden, der nicht nur eine fabelhafte Heimat für diverse Flora und Fauna gewährleistet, sondern auch zerstörerische Flammen bremsen kann. Zur Rücksicht auf die Natur mahnen die örtlichen Routenführer auffällig oft, etwa wenn sie auf der Kanufahrt dazu anweisen, keine Seepflanzen anzusteuern, damit kein einziger Rohrkolben durch ein Ruder einen Knick erleide.

Magische Stufen herab: Ausflug zu Lagunen von Ruidera (3)

Sie wissen: Der touristische Ansturm, der auch diesen Sommer gerade um den Campingplatz Los Batanes herrschen wird, ist nur zu stemmen, wenn Besucher die nötige Achtsamkeit mit im Gepäck haben, siehe auch Fluss-Tourismus in Spanien. Noch bleibt Zeit, die 16 Seen im Restfrühling von ihrer ruhigeren Seite zu erkunden, etwa beim Spaziergang durch den fast kitschig in die Laguna de la Colgada dahingezauberten Halbinselwald La Isla. Ein wacher Blick lohnt sich, um die vielen heimischen Arten, ob leise vor sich wachsende Ulmen und Pappeln oder quakende Blässhühner und piepsende Drosselrohrsänger, wahrzunehmen.

Immer andere Töne: Blanca und ein Rätsel

Aber auch, um die Individualität jeder Lagune zu erkennen. Besondere Aufmerksamkeit verdient in dem Naturpark das Wasser, das, jeweils in unterschiedlichem Maße durch das Kalkgestein geprägt, von Becken zu Becken immer wieder andere Töne annimmt. In dieser Hinsicht einzigartig ist die oberste Lagune, die sich, vor allem bei geringer Füllung, wegen des hohen Karbonatgehalts authentisch weiß färbt. Nur folgerichtig lautet ihr Name Blanca. Sozusagen ihr Gegenstück ist Cenagosa, „die Schlammige“, auf der unteren Seite von Zauberer Merlins Seenkette.

Doch noch vieles mehr bergen die Namen der Lagunen von Ruidera. Conceja etwa verweist auf einen Gemeinderat, der in früheren Jahrhunderten für die Umgebung zuständig war. Tomilla berichtet vom üppigen Thymianbewuchs an ihren Ufern. Salvadora hat den Ruf, heilende Kräfte zu haben. Tinaja heißt wegen ihrer Form „Tonkrug“. Ähnliches gilt für die rundliche sowie die zungenförmige Redondilla und Lengua. Der Name Morenilla erinnert an eine Brünette, die nahe des entsprechenden Sees in einer Höhle wohnte. Colgada, die Hängende, bleibt hingegen ein Rätsel.

Noch lange nach dem Abschied

Man sagt, dass es in Ruidera so viele Geschichten und Legenden gibt, wie sonst nur Cafés in spanischen Orten mit einer Plaza Mayor. Der Zauber der Lagunen lässt sie jedenfalls tief ins Bewusstsein des Besuchers versinken, und dort noch lange nach dem Abschied verweilen. Als Quijote, viele Buchseiten später, mit Sancho in Barcelona des Meer erblickt, „schien es ihnen weit, unermesslich zu sein, viel größer als die Teiche der Ruidera, die sie in der Mancha gesehen hatten“.

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